Rotfunk

#12 Lecture: Konflikte, Kompromisse und die Suche nach Identität: Die Entstehung der österreichischen Verfassung – mit Michael Rosecker

Episode Summary

In den Wochen nach dem Ibiza-Skandal bekommt die österreichische Bundesverfassung ein Maß an Aufmerksamkeit, das ihr schon lange nicht zuteil wurde. Am 27. Mai hat der Nationalrat der Bundesregierung das Misstrauen ausgesprochen, der Bundespräsident enthob die Regierungsmitglieder ihres Amtes – damit kam erstmals eine Bestimmung der Verfassung zur Anwendung, die am 11. Dezember 1929 in Kraft getreten ist. Michael Rosecker, Historiker und stellvertretender Direktor des Renner-Instituts, erzählt in dieser Lecture die lange Entstehungsgeschichte unserer Bundesverfassung. Trotz aller historischer Umbrüche wurde mit ihr ein Regelwerk geschaffen, das zu den ältesten Verfassungen in Europa gehört. Der Weg dahin war von Konflikten, Kompromissen und der Suche nach einer nationalen Identität geprägt. Beginnend mit der Beschlussfassung der Verfassung im Jahr 1920 nach dem Ende des 1. Weltkrieges und nach dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie, über harte politische Auseinandersetzungen zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, die in einem reformierten Bundesverfassungsgesetz 1929 mündeten; bis hin zur Außerkraftsetzung der Verfassung 1933 unter Engelbert Dollfuß, dem Begründer des austrofaschistischen Ständestaats, und der Wiedergeburt der Verfassung 1945, die auf dem Fundament des Regelwerks von 1929 ruht. Gerade nach der Zeit des Nationalsozialismus und dem 2. Weltkrieg wollte sich Österreich als Nationalstaat definieren und auf Kontinuität setzen – und die Verfassung stellte dafür eine wichtige Grundlage dar, sagt Michael Rosecker.